Lieder mit nationalsozialistischem Hintergrund sind immer gewaltverherrlichend und marschtauglich? Fehlanzeige. Gerade an alternativ im NS-Stil um-ideologisierten Weihnachtsliedern auffällig ist ihre Unauffälligkeit. Aber nochmal ganz von vorne: Was hatten Nazis überhaupt mit Weihnachten zu schaffen? Tatsächlich nicht viel. Das war auch einer der Gründe, warum sie sich systematisch am Weihnachtsbrauch zu schaffen machten. Ein neuer, „deutscherer“ Brauch sollte her, der von christlichen Werten, ja am besten komplett von allem Christlichen rund um Weihnachten absah, und besser mit der auf exklusiven Herrschaftsanspruch ausgelegten Doktrin in Einklang zu bringen war.

Dieser neu konzipierte, „arteigene“ Kult sollte in Anlehnung an das altnordische Julfest, das Fest der Wintersonnenwende, unter Einbezug germanischer Elemente bestritten werden. So war es in der Vorstellung der Kulturfunktionäre angedacht, den Weihnachtsbaum auch verbal zur „Jultanne“ werden zu lassen, die Geschenke brachte nicht das Christkind, sondern wahlweise Frau Holle (angeblich eine Erscheinung der Göttin Frigg, passend als Schutzgöttin der Mutterschaft) oder der eigens erfundene Sonnenwendmann. Und die Verehrung Marias hatte, wenn überhaupt, auf Grundlage der bevölkerungspolitisch motivierten Heiligung der Mutterschaft zu erfolgen.

Auch ins Liedgut fand diese systematische Entchristlichung Eingang. Genannt seien hier zur weiteren Recherche für Interessierte die eigens zu diesem Zweck komponierten Lieder „Der Sunnwendmann“ von Martin Greif und Ilse Lang sowie „In dunkler Stunde“ von Josef Bauer und Gerhard Nowottny.

Ein Paradebeispiel für gelungene Kontrafaktur, also das Versehen eines bereits bestehenden Liedes mit neuem Text, ist aber das noch heute weitaus bekanntere Lied „Es ist für uns eine Zeit angekommen“. Während sich die oben genannten krampfhaft wirkenden Versuche der Um-Ideologisierung des Christfestes in den meisten Familien nicht durchsetzten und auch die angesprochenen Lieder keine große Bekanntheit und Beliebtheit erlangten, ist das Lied „Es ist für uns eine Zeit angekommen“ ein Relikt der NS-Zeit. Zumindest sein heute populärer Text, der 1939 vom Musiklehrer Paul Hermann verfasst und in das Liederbuch „Deutsche Kriegsweihnacht“ aufgenommen wurde.

Ursprünglich aus der Schweiz stammend und als Sternsingerlied verbreitet, erzählte die Originalfassung von Jesu Geburt im Stall zwischen Ochs und Esel und der Ehrung durch die heiligen drei Könige: „Es ist für uns eine Zeit angekommen, es ist für uns eine große Gnad. Unser Heiland Jesus Christ, der für uns, der für uns, der für uns Mensch geworden ist. […] Drei König‘ kamen, ihn zu suchen, der Stern führt‘ sie nach Bethlehem. Kron‘ und Zepter legten sie ab, brachten ihm, brachten ihm, brachten ihm ihre reiche Gab‘.“ (Strophen 1 und 3)

Der heute bekanntere Text nun entbehrt im Sinne der Entchristlichung jeglichen explizit christlichen Bezugs, er beschreibt vielmehr pathetisch eine einfache Wanderung durch eine weiße Winterlandschaft: „Es ist für uns eine Zeit angekommen, es ist für uns eine große Freud‘. Über‘s schneebeglänzte Feld wandern wir, wandern wir, durch die weite weiße Welt. […] Vom hohen Himmel ein leuchtendes Schweigen erfüllt die Herzen mit Seligkeit. Unterm sternbeglänzten Zelt wandern wir […].“ (Strophen 1 und 3) Besonders auffällig ist, neben der völligen Neutextierung der zweiten und dritten Strophen, dass der Beginn der ersten Strophe gleich gelassen, jedoch das Substantiv Gnad‘ durch Freud‘ ersetzt wurde. So wollte man wohl auf Nummer sicher gehen, dass der Gedanke an einen Gnadenbringer, also Gott, gar nicht erst aufkam.

Das Lied, das vorerst völlig unauffällig klingt, hat also in Wahrheit eine bewegte Geschichte. Im Jahr 2018 verpasste der österreichische KURIER einem Artikel, der dies thematisiert, den beinahe reißerischen Titel „Weihnachtslied mit Nazitext in aktuellem Schulbuch“. Ob das wiederum nicht in diesem Fall an Überdramatisierung grenzt, sei dahingestellt. Aber es zeigt doch einmal mehr, wie subtil auch Musik im Sinne eines totalitären Regimes gebraucht werden kann. Es kann nicht schaden, dessen eingedenk zu sein.

In diesem Sinne eine frohe und besinnliche Adventszeit!